Shadowlands: Oder wie das Revier vom Klima profitieren kann

Wo liegt die Zukunft des Reviers? Sicherlich nicht darin, jeder Stadt ein Konzerthaus zu gönnen und jede Büroetage, die zwei Webdesigner beherbergt, zum Kreativzentrum auszurufen.

Die Zukunft liegt im Klima.

Neulich in Dubai. Kurz nach Verlassen der Skihalle erwischt es den Scheich. Er muss niesen. Erst die Kälte künstlich geschaffener Winterwelten. Dann 50 Grad und Wüstenstaub. Oder umgekehrt. Die Folge der täglichen Temperaturstürze: Grippale Infekte, gegen die weder die Zwillinge von Ratiopharm noch Bachelor und Apotheken-Umschau-Model Jan Kralitschka einen Rat wissen. Und das ist kein Einzelfall: Auch in Katar, Kuwait und Saudi-Arabien sind Scheichs und Emirs ständig auf der Suche nach einem der Gesundheit nicht abträglichen schattigen Plätzchen.
Und in Australien erst. Bondi Beach: Die Sonne brennt erbarmungslos. Wer hier am Strand in knapper Badehose beeindrucken will, ohne nicht mindestens zwei Zentimeter dick LSF 50 auf die Haut aufzutragen, riskiert binnen weniger Minuten von UV-Strahlen atomisiert zu werden. Denn „Down Under”, wie Australien bei der krampfhaften Suche nach einem Synonym gern genannt wird, kennt die Ozonschicht nur noch aus den Geschichtsbüchern. Aber selbst mit hochofentauglicher Sonnenschutz-Pelle bleiben 40 Grad eben 40 Grad. Jetzt wünscht sich der mittlerweile gut durchgebratene Australier nichts sehnlicher als Schatten spendende Orte.

Und – somit schließt sich der Kreis – davon hat das Ruhrgebiet gleich mehrere im Angebot. Sogar im so genannten Sommer.

Laut EU gehören Dortmund, Essen und Mülheim und zu den schattigsten
Städten Europas. Im Schnitt an gerade einmal 2,8 Stunden pro Tag gelingt es der Sonne, ein paar Strahlen durch das Wolkendickicht auf die Erde zu strahlen. Vor 40 Jahren hätte es auch eine plausible Erklärung für das Schattendasein dieser Region gegeben. Der aschfahle Teint der Menschen begründete sich aus dem Qualm der Stahlwerke, Kokereien und Kraftwerke. Grau-schwarze Wolken verd(r)eckten den Himmel. Es war so dunkel, dass beim Marktbesuch mit Oma zwischendurch laut durchgezählt werden musste, um die Anwesenheit aller Familienmitglieder zu überprüfen. Heute verhindern allerhöchstens die Schwaden rauchender Köpfe aus den Technologieparks, die überall aus dem Boden schießen, dass die Sonne ihren vollen Schein verbreitet.

Hier liegt der Schatz, den die Region nur heben muss. Schließlich setzt sie doch auf Tourismus wie nie zuvor. Anstatt durchs Sauerland zu kurven, um Tagestouristen zum Sale in die Shoppingmalls zu locken, sollte Ruhr-Tourismus lieber zum ganz großen Wurf ausholen: Eine Werbe-Tour durch die Golf-Staaten. Motto: „Wir haben den Schatten, den Sie suchen”. Gut, wem der Mittlere Osten aktuell – Achtung: Wortspiel: – zu heiß ist, kann auch mit Australien beginnen.
Die bloße Erwähnung von mickrigen 2,8 Stunden Sonne pro Tag wäre kaum ausgesprochen, und Millionen Australier wären mit Tränen der Vorfreude in den Augen auf dem Weg zum nächsten Flughafen in Richtung Pott. Mal 14 Tage von der Sonne erholen. Das schafft Arbeitsplätze im Revier.

Job-Wunder Shadowlands!

Das ist die Zukunft – zumindest so lange, bis das Ozonloch dank des wachsenden Flugverkehrs auch in Europa aufreißt.

Blatter hat Recht

Ich hätte nie gedacht, dass ich Fifa-Kaiser Sepp Blatter einmal Recht geben muss. Aber an einem Tag Ende Juli 2014 ist es soweit.

Viele Menschen mit Fahnen sind auf der Straße. Sie schreien, klatschen mit den Händen. Nein, WM ist vorbei. Demonstranten haben sich versammelt. In diesen Tagen ist klar: Deutschland kann sich dem Gaza-Krieg nicht entziehen. Auf der einen Seite demonstrieren Menschen gegen Bomben auf Gaza, auf der anderen gegen Raketen auf Israel. Beide haben Recht. Man beschießt seinen Nachbarn nicht. Man beschießt überhaupt niemanden!

Beide Seiten fordern Frieden. Die wenigsten Demonstranten haben direkt mit dem Elend in Gaza und der Angst in Israel zu tun. Sie solidarisieren sich. Manche wollen sich aber anscheinend einfach nur kloppen. Darunter einige mit bunten Sonnenbrillen, Tunnelohren sowie den üblichen Rechts-Links-Demo-Windbreakern mit eingebauter Vermummungskapuze und Hip-Bags.

Die hier nennen sich Anti-Deutsche. Es sind Menschen, die in Deutschland leben, hier womöglich kostenlos studieren, eine Ausbildung beginnen und sich somit auf ein erfolgreiches Berufsleben in Frieden und Wohlstand vorbereiten können – oder aber Sozialleistungen erhalten. Allesamt also Leute, die davon profitieren, in diesem Land aufzuwachsen. Dennoch lehnen sie ihre Heimat seit der Wiedervereinigung ab. Laut singen sie: „Nie wieder Deutschland“. Etwas leiser stimmen sie den Lobgesang auf „Bomber Harris“ an. Dessen britische Kampf-Flugzeuge hatten im zweiten Weltkrieg viele deutsche Städte zu Klump und Asche gebombt. Sie singen ihre Verse zu einem Zeitpunkt, an dem in Gaza und Israel Raketen und Bomben niedergehen. Wie gehirnamputiert kann man sein? Ich frage mich, für was oder gegen wen sie hier demonstrieren? Dann halten ein Transparent in die Höhe auf dem steht. „Einmal Auschwitz ist zu viel Solidarität mit Israel“. Selten passt der Satz: „Macht doch mal nen Punkt“ so gut wie an dieser Stelle. Nach dem „viel“ würde er sich gut machen. Aber deutsche Interpunktion ist schwierig. Vielleicht deshalb die Ablehnung…

Inzwischen stehen zwei Reihen Polizisten zwischen den etwa 20-25 Demonstranten auf jeder Seite. Noch ohne Helm, aber die Lage ist ein wenig gespannt. Schaulistige stehen am Rand des Treibens. Endlich mal was los in der Stadt. Die Luft riecht nach Testosteron. Man(n) und Frau wollen die Fetzen fliegen sehen.

Dann betritt der Weltmeister die Bühne.

Ein Mann, in eine Schmutz starrende Deutschland-Trikot-Nachbildung von 2006 gehüllt. Auf dem Kopf einen turmhohen Guiness-Bier-Hut und eine Sonnenbrille auf der Nase. In der einen Hand eine halbvolle Pulle Hansa-Bier. In der anderen einen Umschlag und Deo-Spray. Er gröhlt: „Der Weltmeister ist da“. Den Anwesenden gibt er zu verstehen, wie er mit dem WM-Sieg der deutschen Fußball-Nationalmannschaft umzugehen gedenkt: „Ich bin vier Jahre Weltmeister. Da feiere ich nicht nur einen Tag. Vier Jahre!“ Die Bühne ist sein. „Warum immer bei uns?“, fragt er in Richtung der Demonstranten. Man habe hier genug Probleme. Er zum Beispiel: „Hier im Umschlag ist ne Rechnung über 780 Euro Nachzahlung. Zahlt ihr die?“ Ein ganzer Platz platzt vor Lachen. Zwischen seinen Botschaften versucht er den ihm vorauseilenden Bierdunst im Nebel seines Deodorants zu verschleiern. Mehrere Stöße aus der Dose eines bekannten Drogeristen umgeben den Weltmeister mit einem Duft, der nicht nur Frauen provoziert.
Was der Weltmeister aber schafft: für ein paar Minuten vergessen alle Krawallsucher den Krawall und alle Demonstranten, zu demonstrieren. Der Weltmeister schlägt die Brücke. Fußball verbindet. Das ewige Mantra der Fifa. Wenn Sepp Blatter das erfährt, er würde sich selbst zum Friedensnobelpreis vorschlagen.

P.S.
Leider ist der Frieden nicht von Dauer. Als der Weltmeister abgezogen ist, jagen sich die Kontrahenten quer durch die Stadt. Ein paar Experten wollen um jeden Preis eskalieren. Die Polizei kann das verhindern. Erst am Bahnhof endet dieses ideologisch aufgeladene Räuber-und-Gendarm-Spiel.