Ach, ihr Franzosen!

Ich liebe Frankreich. Dort gibt es diese niedlichen kleinen Bierfläschchen mit von bloßer Hand abschraubbaren Kronkorken. Außerdem dieses „je ne sais quoi“ „laissez faire“ und „savoir vivre“. Dennoch haben mich einige Franzosen in den letzten Tagen enttäuscht.

Zunächst Calais. Der hässlichste Bahnhof der Welt. Viel zu groß. Man gelangt nur mit dem Auto zum Gleis und muss dafür auch noch anstehen. Zudem gleichen die Züge den Castor-Transporten. Sie haben so kleine Guck-Luken, dagegen sind die Bullaugen eines Schiffes Panorama-Fenster. Aber wozu auch, wenn die Fahrt eh durch den Tunnel geht.

Dann das Allgemeinwissen. Auf dem Londoner Trafalgar Square hat gerade ein Meer von schwarz-gelb gekleideten Fußball-Fans die letzten in rot-weiß gehüllten Anhänger vom Platz gespült. In wenigen Stunden ist Anstoß im Wembley-Stadion und noch wogen die Wellen der Vorfreude durch die ganze Stadt. Plötzlich nähert sich eine Frau den von Bier trinkenden Menschen bevölkerten Stufen, die zur National Gallery hinaufführen. Eine Sonnenbrille im Kastanienhaar. Sie fragt, was denn hier los sei, welchen Hintergrund dieses Farbenspiel habe. Karneval? Oder Christopher-Street-Day? Wegen der vielen Männer und so…Als sie dann erfährt, dass am Abend, das Champions League-Finale steigt, das wichtigste Spiel des Jahres im europäischen Fußball, hebt sie entschuldigend die Hände. Das habe sie nicht gewusst. Fußball sei nicht so ihr Metier. Sie komme aus Frankreich.

Gut. Ein Sportereignis, das weltweit über eine Milliarde Menschen fasziniert, kann schon mal an einem vorbeigehen.

Aber dann ist da noch die Intoleranz. Zu Tausenden sind sie Frankreich auf die Straße gegangen, um gegen die Gleichstellung von Homosexuellen zu protestieren. Schwule und Lesben wollen heiraten? Na, da werden erstmal Autos angezündet…

Was ist nur los mit unseren wunderbaren Nachbarn? Was ist denn mit den Idealen von 1789, Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit, auf die alle Franzosen doch so furchtbar stolz sind…? Menschen, die stets „amour toujours“ gepredigt haben, verwandeln sich in konservative Sittenwächter, die den iranischen Revolutionsgarden in nichts nachstehen. Im Vergleich zu diesen Moralisten wirkt selbst Sarah Palin frivol.

Dabei haben sie es doch erfunden! Zumindest hat sich auf dem Planeten der französische Begriff fürs Polyamore durchgesetzt. Die „menage a trois“. Drei Menschen leben und lieben zusammen unter einem Dach. Da es nun mal in der Regel nur Frauen und Männer gibt, kann die Heirat zweier gleichgeschlechtlicher Partner durchaus eine mögliche Konsequenz aus dieser Dreiecksbeziehung sein.

Dafür braucht es kein Diplom in Statistik.

Sprühhaare!

Geburtstage sind ja ganz schön. Einerseits. Viele liebe Menschen gratulieren. Einige von ihnen sogar persönlich. Sie kommen dann vorbei. Im Gepäck haben sie tolle Geschenke – und Backwerk. Dafür erhalten sie im novembrigen Mai auch temporär eine beheizte Wohnstätte sowie Kaffee und Kaltgetränke. Und natürlich leckeren Kuchen, den sie zum Teil selbst mitgebracht haben. So läuft das Geschäft. Ein bisschen wie Weihnachten. Nur ohne Tannenbaum.

Andererseits bringt einem der Geburtstag jedoch die Vergänglichkeit des Seins nahe. Nicht nur, dass man mit 34 dem Tod und dem ihm voranschreitenden Siechtum wieder ein Jahr näher gerückt ist. Man wird auch ständig daran erinnert. Zum Beispiel beim Friseur. Dort ist es eigentlich Brauch, dass die praktizierende Friseurin auf das Wehklagen des Kunden, wie sehr die einstige Lockenpracht begonnen habe sich dem die Familie männlicherseits dominierenden Resthaar-Look anzunähern, eher aufmunternd reagiert. Sätze wie „Ach was, da musst Du Dir keine Sorgen machen!“, sind bis jetzt die Regel gewesen. Bis jetzt. Beim jüngsten Besuch im Salon wird mit der Tradition gebrochen. Es heißt nur: „Da habe ich vielleicht was für Dich.“ Und mirnichtsdirnichts wird aus einer dieser unzähligen Ablagen, über die Haar-Studios offenbar verfügen müssen, eine Palette mit dunklen Fläschchen hervorgezaubert. Mit Augen so erwartungsfroh, wie Markus Lanz nach einem vermeintlichen Gag in die Wetten,dass…?-Runde schaut, präsentiert meine Mähnenbändigerin: „Sprühhaare!“

Mein Blick muss so ausgesehen haben wie in dem Moment, als ich vor Jahren im Hörsaal bei der Vordiplomsprüfung das Aufgabenblatt meiner Statistik-Klausur umgedreht habe. Ungläubig, schockiert – und irgendwie angewidert. Der Produkt-Präsentation tut das keinen Abbruch. „Das nehmen jetzt viele Männer. Einfach in die lichten Ecken sprühen. Macht das Haar sichtbar voller. Hält bis zur nächsten Wäsche.“ Doch die mit Verve vorgetragene Werbung für dieses Zaubermittel verfehlt ihre Wirkung. Stumm und immer noch unter  Schock stehend deute ich wie in Trance auf den Haartrimmer, der neben mir auf einem Beistellwägelchen liegt. Mit zitterndem Daumen und Zeigefinger versuche ich einen Alternativvorschlag zum Haar aus der Dose zu formen. Die Distanz zwischen den fast zusammengeführten Kuppen ist nur so lang, wie es laut einer nicht repräsentativen Umfrage angeblich die Pimmel von Hummer-Fahrern sein sollen. 

Diese Radikalität ist jedoch nichts für meine Hair-Stylisten. „Ach was“, sagt sie, „fürs Abrasieren ist es doch noch viel zu früh“.

Na, also geht doch!

Habe am Ende doch einen Flakon Büchsenmatte erworben. Für den nächsten Karneval. Ich geh’ als Berlusconi.  

 

Ziviler Ungehorsam

Mal ehrlich, als Demokraten sind wir doch von der Freiheit verwöhnt. Orte zivilen Ungehorsams sind deshalb immer schwieriger zu finden. Manchmal aber gelingt es doch: im Flugzeug.

In der Economy Class  wird der Steinbrücksche Ruf nach mehr Beinfreiheit vom massigen Körper des Sitznachbarn verschluckt, der mit seinem als Oberschenkel verkleideten Unterarm den Luftraum der kompletten Sitzreihe verletzt. Freiheit haben hier nur die Preise des Bord-Bistros – und zwar nach oben. Duty Free? Pah. Bloß noch ein Euphemismus. Dazu kommen die permanenten  Anweisungen des uniformierten (!) Bordpersonals. Anschnallen. Sichtblende hoch. Einkaufen! Da ist der Drang des Menschen doch nur verständlich, sich sofort nach der Landung seine Freiheit zurückzuerobern:

Die Ansage, sitzen zu bleiben, bis das Gurtsymbol erloschen ist, hängt noch knarzend in der Luft, da setzt auch schon der Flucht-Reflex ein. Beckenschnallen klicken, alles steht – obwohl besagtes Symbol es doch verbietet. Das Nichtraucherzeichen direkt daneben leuchtet übrigens auch. Warte auf den Tag, an dem sich endlich der erste Sitzflüchtling eine Zigarette ansteckt. Wäre nur konsequent…

 

P.S. Der Text erscheint in ähnlicher Form morgen als Glosse in der WAZ