Der Tag danach

Der grelle Schein von Lichterketten und blinkenden Weihnachtssternen, die selbst der Stadtrat von Zabrze mittlerweile verboten hat, strahlt ein wenig matter.

Augen können wieder sehen.

Mit der tief hängenden Wolke, die alles und jeden mit dem Duft von Zimt, Bratapfel und zerplatzten Bockwürstchen umhüllt hat, muss sich dank Westwind jetzt der Russe rumschlagen.

Nasen können wieder riechen.

Die glockenhell und beschwingt vorgetragenen Lieder Rolf Zuckowskis, seinen 127 Kindern sowie zahlreicher nordamerikanischer Sänger, deren Konterfei es entweder nur in schwarz-weiß oder im weichen Licht der Homo-Erotik zu bestaunen gibt, haben verantwortungsbewusste Radioredakteure für die kommenden 48 Wochen sicher weggeschlossen.

Ohren können wieder hören.

Doch erst wenn irrlichternde Verkehrsteilnehmer nicht verständnisvoll mit den besten Wünschen für die Feiertage bedacht werden müssen, sondern mit den Worten „Pass doch auf, du Spacko“ und einer eindeutigen Handbewegung den Weg in die Hölle oder zur Umtauschkasse gewiesen bekommen,  ist klar: das Ende der Besinnlichkeit ist eingeläutet.

Irgendwie ein bisschen schade.

Am schwarzen Brett

Am schwarzen Brett

Tausche Coach gegen eine Kiste Bier. Auf den ersten Blick das verzweifelte Angebot eines offenkundig erfolglosen Sportlers. Gefunden im Supermarkt am schwarzen Brett.
Der Plan klingt plausibel: Erstmal den Trainer loswerden, ein paar Pils reinschrauben und dann geht’s schon irgendwie weiter. Im Rausch kommen ja oft die besten Ideen.
Allein das Foto neben den Offerte macht stutzig. Zu sehen ist ein schwarzes Sofa – wer Fremdsprachen mächtig ist, nennt das stilvolle Sitzmöbel auch Couch. Liegen die Stärken eher in der Athletik oder ganz woanders kann man natürlich auch Coach sagen. Kann man auch prima draufsitzen.
Daher kommt wohl auch der Spruch, ein guter Trainer ist eine sichere Bank.

Käse-Spießchen

Tempus fugit, die Zeit rennt,  sie jagt sogar dahin, reißt alles mit in ihrem mächtigen Strom und lässt es in ihren Fluten verschwinden. Manchmal aber, spült sie es irgendwo Tage oder sogar Jahre später wieder an Land – nur heißt es dann anders oder sieht anders aus. 

Fragen Sie doch heute mal in der Bahnhofskneipe nach einem leckeren Ruländer. Spritzig, fruchtig aber nicht zu säuerlich. Den gibt’s nicht mehr, der heißt jetzt Grauburgunder oder je nach Reiseaffinität des Winzers auch Pinot Gris oder Pinot Grigio. Doch dabei handelt es sich um dieselbe Rebsorte. Es klingt halt nur besser, so international. Der Gaumen soll bei jedem Schluck einen Kurzurlaub unternehmen. Und wenn schon Verreisen, dann lieber nach Italien als in den Hunsrück, haben die Marketing-Strategen ersonnen. Die hießen früher übrigens noch Werbefachleute. Auch sie können sich dem Wandel nicht entziehen, den sie selbst herbeireden. Insbesondere in der Küche.

Da ist doch der Wahnsinn zu Hause. Man nehme die Familienfeste, Wohnungseinweihungen und Scheidungspartys der vergangenen 25 Jahre. Bei Kartoffelsalat, Würstchen und kleinen Frikadellen, wie sie noch Tante Margot zu ihrem 60. auftischte, bleibt doch heute kein Gast mehr bis zum Nachtisch. In den Nudelsalat kommen auch keine Erbsen, Fleischwurst-Stücke und Mandarinen mehr, sondern getrocknete Tomaten, handgepflückte Oliven und Fetakäse-Bröckchen von linksdrehenden Schafen. Und bloß keine Spiralnudeln verwenden. Die sind so was von out. Sagen Tim Mälzer und dieser dick gewordene Koch aus England. Ich hätte übrigens nie gedacht, dass Legionen deutscher Hausfrauen und Hobbyköche auf die Ratschläge eines Küchenchefs hören, dessen Nation es fertig bringt, überraschend gelungenes Fleisch in Minz-Soße zu ersäufen und dazu ein warmes Bier zu trinken.

Es gibt jedoch eine Spezialität, die trotz Promi-Dinner, Sushi-Invasion und Dinkel-Attacken ihren Platz am kalten Buffet verteidigt hat. Die Käse-Spießchen. Erst neulich wieder genossen. Ein Würfel Gouda garniert mit einem Träubchen, respektive Mandarinen, am Zahnstocher gereicht. Fehlte nur noch der Mettigel.