Das erste Formel 1-Rennen dieser Saison hat mich ein wenig überrascht. Das heißt vielmehr der Ort. Dortmund. Innenstadt. Ich meine, dass der ganze Zirkus irgendwann wieder starten musste war ja klar, aber dass das erste freie Training auf der Lindemannstraße ausgetragen wurde, war mir neu.
Oder dreht RTL hier gerade eine Folge „Alarm für Cobra 11“? Zwei Männer jagen in ihren Autos durch den Stadtverkehr, als ob es gilt hinter Sebastian Vettel die beste Ausgangsposition für den Großen Preis von Australien zu ergattern. Entweder hat sie der erste zaghafte Versuch des Frühlings inspiriert, sich ebenfalls Bahn zu brechen oder beide versuchen den bei Männern bisweilen aufkommenden Wunsch nach dem Vergleich ihrer Geschlechtsteile mit Hilfe der Leistungsstärke ihrer Fahrzeuge nachzukommen. Offenkundig standen sanitäre Anlagen in unmittelbarer Nähe nicht zur Verfügung, wo ansonsten die aktuellen Tabellenstände ermittelt werden. Vielleicht ging der Raserei über zwei Spuren aber auch nur eine missverständliche Interpretation der Straßenverkehrsordnung eines der beiden sich offenbar in der Brunft befindlichen Kerle voraus. Man weiß es nicht. Jedenfalls lässt der Sternchen-Coupé-Fahrer den Rivalen am Steuer eines SUV aus Ingolstadt nicht einfädeln, was dieser jedoch gern tun würde. Denn seine Spur verwandelt sich in einen Ort für Linksabbieger, sein Ziel liegt jedoch geradeaus. Erst das rote Licht einer Ampel stoppt die Tollwütigen. Es kommt wie es kommen musste. Der SUV-Lenker steigt die Stufen aus seiner Führerkanzel herab, um dem Sportwagen-Fahrer auf die Fresse zu hauen. Der bleibt jedoch sitzen, es wird grün, viele andere Verkehrsteilnehmer hupen oder klingeln und verhindern so einen Anstieg der Kriminalitätsstatistik im Kreuzviertel. Dass Männer aber auch immer mit dem Kopf durch die Wand müssen…Wie bei mir neulich. Beim Joggen.
Plötzlich dieses Keuchen hinter mir. Jetzt nur nicht umdrehen, wer weiß, wer da gerade seine Hufe in den Rindenmulchboden meiner Laufstrecke gräbt. Auf jeden Fall holt der mich nicht ein!
Ja, ich laufe auch auf Rindenmulch. Bin doch nicht bekloppt und lege meine Meter auf Asphalt zurück. Zunächst einmal auf Grund der jüngsten Aussage meines Orthopäden, dass meine Knie für die eines 68-jährigen Fliesenlegers gar nicht so schlecht aussähen. Und dann natürlich auch deshalb, weil mit Blitzeis nicht zu spaßen ist.
Gott sei Dank hat ein schlauer Mensch mitten in dem Wald vor meiner Haustür diesen Rundkurs angelegt. Denn beim Rindenmulch weiß der Jogger, was ihn erwartet: 800 Meter gelenkschonender Belag. Mal matschig, mal fluffig, aber nie rutschig. Mein Orthopäde würde feuchte Augen bekommen. Ich mag Rindenmulch. Wenn Rindenmulch wählbar wäre, würde ich ihm zumindest für die Europawahl meine Stimme geben.
Ehrlich gesagt, glaube ich aber nicht, dass die Bahn tatsächlich 800 Meter misst. Das wären ja zwei Stadionrunden. Dann hätten sie uns allen damals bei den Bundesjugendspielen übel mitgespielt. Ich kann mich nicht erinnern, diese Distanz jemals auf der Tartanbahn annähernd in olympiareifer Zeit zurückgelegt zu haben. Nun hat das lockere Getrabe auf Baumrindenschnipseln nichts mit einem Wettkampf zu tun, dennoch reiße ich eine Runde nach der anderen ab und wundere mich über die fehlenden Ermüdungserscheinungen. Kein Seitenstechen, kein Brechreiz. Also immer weiter, bis, ja bis tatsächlich die Beine müder werden.
Genau in diesem Moment schnaubt etwas hinter mir. Muss sich dieser Stampfer ausgerechnet 20 Meter hinter mir überlegen, auf den Kurs zu gehen? Dabei wollte ich doch die letzten beiden Runden locker angehen lassen. Doch diesen Feierabend-Emil-Zatopek vorbeilassen? Niemals! Also, noch mal Tempo machen an den Steigungen. Aber: die Dampflok bleibt dran, treibt mich ohne Rücksicht auf ihre künstliche Herzklappen vor sich her – bis zum bitteren Ende nach Runde 12. Erschöpft am Ziel angelangt, wie nach einem Spaziergang mit Joey Kelly zum Nordpol, fällt mein Blick erstmals auf den Verfolger. Erwartet hatte ich einen lebenden Turnschuh. Zumindest aber einen Austausch-Studenten aus Äthiopien. Doch der zinnoberrot leuchtende Kopf und das schmerzverzerrte Gesicht des tropfnassen, nach Luft schnappenden Mittvierzigers zeigten mir, dass auch mein Verfolger nur ein Ziel hatte: der läuft mir nicht weg. Bescheuert. Das Sprichwort „Der Klügere gibt nach” kann nicht von einem Mann erfunden worden sein.
Gut, dass Autos im Wald verboten sind…