Klaus Kinski war ein Sex-Monster, das selbst vor seinem eigenen Kind nicht Halt machte. Walter Gabriel war ein Nazi, der seinen Sohn schlug und danach politisch bekehren wollte. Pola Kinski und Sigmar Gabriel haben jetzt der Öffentlichkeit mitgeteilt, wie sie unter ihren Vätern gelitten haben. Lange nach dem die Peiniger sie nicht mehr quälen konnten. Der Schauspieler Kinski starb bereits 1991 mit 65 Jahren, Gabriels Vater im vergangenen Juni mit über 90. Über Jahrzehnte hatten sie keinen Kontakt. Das zeigt, welche Macht diese Männer noch immer über ihre Kinder hatten, auch wenn sie schon längst tot oder aber zumindest weit weg waren.
Natürlich ist es ein Zufall, dass Pola Kinskis Buch „Kindermund“, in dem sie den Missbrauch beschreibt, und das Ergebnis der Gespräche, die Sigmar Gabriel mit der „Zeit“ über (Rechts-)Radikalität seines Vaters führte, beinahe parallel publik werden. Und vergleichbar sind die Schicksale auch nicht miteinander. Doch haben die Veröffentlichungen eine Gemeinsamkeit. Ihre Kraft. Wenn Menschen einen Blick in ihre Seele erlauben, sieht man sie oft mit anderen Augen. Wenn man liest, welche Grausamkeiten ihnen über viele Jahre – insbesondere in einer so prägenden Zeit wie der Kindheit – widerfahren sind, erscheinen so manche ihrer Wesenzüge in einem anderen Licht. Einige Entscheidungen und Äußerungen werden plötzlich erklärbar – plausibel müssen sie dann noch längst nicht sein. Gerade einem Politiker, der ohnehin täglich in der Öffentlichkeit steht, kann eine aufgeschriebene Biografie durchaus zum Vorteil gereichen.
„Guck’ mal der Sigmar. Vielleicht ist er deshalb immer so aufbrausend.“
„Jetzt wird mir manches klar. Im Grunde ist er ja kein schlechter Kerl.“
Interpretationen an der Brötchentheke.
Eine Biografie schafft Verständnis. Vielleicht sogar Mitleid, auch wenn den Betroffenen daran nicht gelegen sein mag. Wie die Süddeutsche Zeitung heute schreibt, hat Bill Clinton im US-Wahlkampf gegen George Bush senior erst richtig punkten können, als die Wähler erfahren haben, wie er sich vor seinem stets betrunkenen Vater verstecken musste und ihn seine Mutter allein aufzog. Ein Mann des Volkes.
Sollte Peer Steinbrück ähnlich schlimme Dinge erlebt haben – so mancher Fehltritt der vergangenen Monate würde ihm vermutlich verziehen. Jetzt wäre der Zeitpunkt darüber zu sprechen.