George

Nun also doch. Der Name des britischen Thronfolgers ist raus. Dabei hatte ich echt die Hoffnung gehegt, dass es Kate und William ernst meinen mit dem „Wir basteln noch am Namen und lassen uns Zeit“. Es wäre doch wirklich mal ein Zeichen gewesen, wenn das hoheitliche Paar nicht sofort einen beziehungsweise drei Namen parat gehabt hätte. So wie andere Eltern ihren Kindern die Entscheidung überlassen, ob sie katholisch, protestantisch oder wie Heiden leben wollen, hätten Windsors ihrem Spross I. auch bei der Wahl seines Vornamens entscheiden lassen können. Wenn er alt genug ist. So mit acht oder zehn. Dann würden vielleicht viele Eltern ihrem Beispiel folgen und wenigstens dieser Generation von Kindern die Folgen der Chantalisierung erspart.

Ich glaube kaum, dass es sich Kinder Namen wie Justin-Jerome oder Don Armani Karlheinz freiwillig gegeben hätten. Und wir wissen, wozu das führt. Auch wenn wir zahlreichen Kevins Unrecht tun, doch mit diesem Vornamen tragen sie gleichzeitig eine Diagnose auf ihren von schlecht gestochenen Tätowierungen verzierten Schultern.

Siehste…, geht schon los mit den Vorurteilen.

Bestseller-Autor oder wenigstens UN-Klimaschutzkommissar wird man als Kevin genauso wenig wie einer Samantha oder Chiara-Celine wohl kaum der Durchbruch in der Krebsforschung gelingen wird. Nicht, dass sie es nicht drauf hätten, aber die Kindergärtner, Lehrer und später die Personalchefs haben doch längst ihr Urteil gefällt, wenn sie die Namen lesen. Noch bevor die Kleinen ihre Talente entfalten können. Jede Luna-Joy oder jeder Jaden-Giacomo, den ein Standesbeamter den Eltern durchgehen lässt, ist wie eine Baggerschaufel, die den Graben in der Gesellschaft vertieft. So viele Staffeln DSDS und Supertalent kann es doch gar nicht geben, dass die alle Arbeit finden…

Ähnlich düster sieht  übrigens die Zukunft der Bataillone von Friedrichs, Emmas und Gustavs aus, die auf den Spielplätzen der Gründerzeitviertel deutscher Großstädte im Stile preußischer Offiziere nach ihrem Recht auf eine freie Rutschbahn verlangen – zweisprachig. Die Feuilletons werden überall eingestampft und die FDP droht bundesweit in der Bedeutungslosigkeit zu versinken. 

Heißt denn niemand mehr Andreas, Petra oder Stefan? Das ist wohl zu banal. Entweder Banlieue oder verkappter Adel. Mit beiden Extremen der Namensgebung tun die Eltern ihren Kindern keinen Gefallen für ihr weiteres Leben.

Gut, mit Zukunftssorgen wird sich George Alexander Louis Windsor aller Voraussicht nach nicht herumärgern müssen. Er wird König werden. Glückwunsch.

Praktiker ist pleite – und ich bin schuld

Praktiker ist pleite. Das ist schlimm. Und ich bin schuld. Na ja, vielleicht nicht ich alleine. Aber Menschen wie ich. Menschen, für die Besuche im Baumarkt etwa so viel Spaß machen, wie Oma die Fußnägel schneiden oder bei Markus Lanz auf dem Sofa zu sitzen.

Schon als Kind konnte ich Baumärkten nicht viel abgewinnen, wenn Vater dort in Latzhosen die Samstagvormittage verbrachte. Bei Ikea gab es wenigstens Hot Dogs und die Bälle.

Diese schluchtengleichen Gänge wirkten unheimlich auf mich. Sie tun es noch heute. Das Auge ist schlicht überfordert. Überall blinken verchromte Dusch- und Schraubenköpfe, blitzen scharfe Sägeblätter, drohen Äxte, Zangen, Scheren.  Dazu diese Auswahl. Ich glaube Deutschland ist das variantenreichste Land, wenn es um Toilettensitze und Dübel geht.

Und dann die Kunden. Männer, die zielsicher mit einem Zollstock in der Gesäßtasche der mit Speis, Farbe oder schlicht Dreck beschmierten Manchester-Hose durch die Gänge steuern. Auf der Suche nach der Stahlschraube SPX-Q9J, einem Spaten aus Titan oder 800 Kilo Zement. Was man nach der Lektüre von Endzeitbüchern  eben so braucht, um einen Lebensmittel-Bunker auszuheben und somit dem durch die Energiewende herbeigeführten Strom-Blackout angemessen zu begegnen. Irgendwo ja immer noch Helden, diese Kerle. Wie Mac Gyver. Aus den 80ern.

Für mich ist das nichts. Da ich in der Heimwerker-Hierarchie eher den Rang des Hofnarrs bekleide, bin ich auf kenntnisreiches Personal angewiesen, wenn ich traditionell am 29. Februar den Baumarkt betrete, um einen Nagel zu kaufen. Doch oft stehe ich dann lange einsam vor den Regalen und warte auf Beratung. Einmal wäre ich sogar beinahe verdurstet, hätte ich in der Pflanzenabteilung nicht einen Sack Seramis-Granulatsteine gefressen, um so genug Wasser zu speichern. Beinahe hätte ich auch mal einen Kaktus angebohrt, um so an Flüssigkeit zu kommen. Nur, wo sollte ich den Bohrer finden? Dieter Nuhr sagte einmal, er glaube, dass die CIA für Tests ihrer Tarnkappen an deutsche Baumarktmitarbeiter herangetreten sei.

Offenbar erfolgreich. Leider.

 

Ach, ihr Amerikaner!

So langsam mache ich mir ein bisschen Sorgen um die USA. Gut, „God’s own country“ hatte in seiner bewegten Geschichte immer mal ein paar Schläge einzustecken. Aber dann kamen die Helden und zimmerten auf den Trümmern der Niederlage eine neue, stärkere und viel bessere Nation. Independence Day, Air Force One, Pearl Harbour…die Liste ist lang. Oft genug holt der Präsident in den Filmen sogar höchstpersönlich die Kastanien aus dem Feuer.

Immer, wenn es Amerika nicht so wirklich gut geht – also alle paar Jahre –  wirft Washington seine Propaganda-Maschine in Hollywood an, das Verteidigungsministerium haut noch ein paar Dollar raus und fertig sind zwei Stunden „Yes, we can“. Dann gehen die Amis zufrieden aus dem Kino, haben ihren Helden und glauben wieder an das Gute. Die Zukunft. Baseball. Barbecue. Plötzlich sind die Gläser wieder halbvoll, statt halbleer. Alles amazing.

Das ist genauso bekannt wie besorgniserregend. Denn bisher betrieben die USA ihr cineastisches Massen-Motivationsseminar in überschaubaren Zyklen. Von Superman mal abgesehen, laufen aktuell gleich drei Filme parallel, in denen es Amerikaner schaffen, ihr Land und letztlich auch die Welt zu retten.  Brad Pitt spielt in „World War Z“ einen ehemaligen UN-Inspektor, natürlich aus den USA, der die Menschheit davor bewahrt Zombies zu werden. Im Grunde realistischer als die beiden Stars’n’Stripes-Schwulst-Streifen, in denen plötzlich Mr. Präsident zu John Rambo wird. Erst schießen böse Menschen Washington in Klump und Asche und nehmen das Weiße Haus ein, dann kriegt der Präsident eine Knarre in die Hand und regelt zusammen mit einem harten Typen die Sache. „White House Down“ und „Olympus has fallen“. Geschätzt zwei Minuten lang begleitet die Kamera im Abendlicht ein von Kugeln durchsiebtes Sternenbanner, das langsam vom zerschossenen Weißen Haus auf die Erde schwebt – um am Ende wieder auf Ruinen neu gehisst zu werden. Eine Nation am Boden. Und das gleich mehrfach.

Nie war der Schrei nach einem American Hero zwischen New York und L.A. lauter. Dabei gäbe es ja einen Kandidaten. Er heißt Edward Snowden. Mit seinen Enthüllungen über die abhörgeilen Geheimdienste der USA (ja, und Großbritannien) hat er den Menschen einen größeren Dienst erwiesen, als Harrison Ford und Bruce Willis zusammen. Jetzt ist er auf der Flucht und steckt als Staatenloser seit Tagen auf dem Flughafen in Moskau fest. Im Transitbereich und weiß nicht wohin. Fürs große Kino taugt er allerdings nicht. Denn so eine Geschichte wurde bereits verfilmt. Mit Tom Hanks. Terminal.

Ach, ihr Franzosen!

Ich liebe Frankreich. Dort gibt es diese niedlichen kleinen Bierfläschchen mit von bloßer Hand abschraubbaren Kronkorken. Außerdem dieses „je ne sais quoi“ „laissez faire“ und „savoir vivre“. Dennoch haben mich einige Franzosen in den letzten Tagen enttäuscht.

Zunächst Calais. Der hässlichste Bahnhof der Welt. Viel zu groß. Man gelangt nur mit dem Auto zum Gleis und muss dafür auch noch anstehen. Zudem gleichen die Züge den Castor-Transporten. Sie haben so kleine Guck-Luken, dagegen sind die Bullaugen eines Schiffes Panorama-Fenster. Aber wozu auch, wenn die Fahrt eh durch den Tunnel geht.

Dann das Allgemeinwissen. Auf dem Londoner Trafalgar Square hat gerade ein Meer von schwarz-gelb gekleideten Fußball-Fans die letzten in rot-weiß gehüllten Anhänger vom Platz gespült. In wenigen Stunden ist Anstoß im Wembley-Stadion und noch wogen die Wellen der Vorfreude durch die ganze Stadt. Plötzlich nähert sich eine Frau den von Bier trinkenden Menschen bevölkerten Stufen, die zur National Gallery hinaufführen. Eine Sonnenbrille im Kastanienhaar. Sie fragt, was denn hier los sei, welchen Hintergrund dieses Farbenspiel habe. Karneval? Oder Christopher-Street-Day? Wegen der vielen Männer und so…Als sie dann erfährt, dass am Abend, das Champions League-Finale steigt, das wichtigste Spiel des Jahres im europäischen Fußball, hebt sie entschuldigend die Hände. Das habe sie nicht gewusst. Fußball sei nicht so ihr Metier. Sie komme aus Frankreich.

Gut. Ein Sportereignis, das weltweit über eine Milliarde Menschen fasziniert, kann schon mal an einem vorbeigehen.

Aber dann ist da noch die Intoleranz. Zu Tausenden sind sie Frankreich auf die Straße gegangen, um gegen die Gleichstellung von Homosexuellen zu protestieren. Schwule und Lesben wollen heiraten? Na, da werden erstmal Autos angezündet…

Was ist nur los mit unseren wunderbaren Nachbarn? Was ist denn mit den Idealen von 1789, Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit, auf die alle Franzosen doch so furchtbar stolz sind…? Menschen, die stets „amour toujours“ gepredigt haben, verwandeln sich in konservative Sittenwächter, die den iranischen Revolutionsgarden in nichts nachstehen. Im Vergleich zu diesen Moralisten wirkt selbst Sarah Palin frivol.

Dabei haben sie es doch erfunden! Zumindest hat sich auf dem Planeten der französische Begriff fürs Polyamore durchgesetzt. Die „menage a trois“. Drei Menschen leben und lieben zusammen unter einem Dach. Da es nun mal in der Regel nur Frauen und Männer gibt, kann die Heirat zweier gleichgeschlechtlicher Partner durchaus eine mögliche Konsequenz aus dieser Dreiecksbeziehung sein.

Dafür braucht es kein Diplom in Statistik.

Sprühhaare!

Geburtstage sind ja ganz schön. Einerseits. Viele liebe Menschen gratulieren. Einige von ihnen sogar persönlich. Sie kommen dann vorbei. Im Gepäck haben sie tolle Geschenke – und Backwerk. Dafür erhalten sie im novembrigen Mai auch temporär eine beheizte Wohnstätte sowie Kaffee und Kaltgetränke. Und natürlich leckeren Kuchen, den sie zum Teil selbst mitgebracht haben. So läuft das Geschäft. Ein bisschen wie Weihnachten. Nur ohne Tannenbaum.

Andererseits bringt einem der Geburtstag jedoch die Vergänglichkeit des Seins nahe. Nicht nur, dass man mit 34 dem Tod und dem ihm voranschreitenden Siechtum wieder ein Jahr näher gerückt ist. Man wird auch ständig daran erinnert. Zum Beispiel beim Friseur. Dort ist es eigentlich Brauch, dass die praktizierende Friseurin auf das Wehklagen des Kunden, wie sehr die einstige Lockenpracht begonnen habe sich dem die Familie männlicherseits dominierenden Resthaar-Look anzunähern, eher aufmunternd reagiert. Sätze wie „Ach was, da musst Du Dir keine Sorgen machen!“, sind bis jetzt die Regel gewesen. Bis jetzt. Beim jüngsten Besuch im Salon wird mit der Tradition gebrochen. Es heißt nur: „Da habe ich vielleicht was für Dich.“ Und mirnichtsdirnichts wird aus einer dieser unzähligen Ablagen, über die Haar-Studios offenbar verfügen müssen, eine Palette mit dunklen Fläschchen hervorgezaubert. Mit Augen so erwartungsfroh, wie Markus Lanz nach einem vermeintlichen Gag in die Wetten,dass…?-Runde schaut, präsentiert meine Mähnenbändigerin: „Sprühhaare!“

Mein Blick muss so ausgesehen haben wie in dem Moment, als ich vor Jahren im Hörsaal bei der Vordiplomsprüfung das Aufgabenblatt meiner Statistik-Klausur umgedreht habe. Ungläubig, schockiert – und irgendwie angewidert. Der Produkt-Präsentation tut das keinen Abbruch. „Das nehmen jetzt viele Männer. Einfach in die lichten Ecken sprühen. Macht das Haar sichtbar voller. Hält bis zur nächsten Wäsche.“ Doch die mit Verve vorgetragene Werbung für dieses Zaubermittel verfehlt ihre Wirkung. Stumm und immer noch unter  Schock stehend deute ich wie in Trance auf den Haartrimmer, der neben mir auf einem Beistellwägelchen liegt. Mit zitterndem Daumen und Zeigefinger versuche ich einen Alternativvorschlag zum Haar aus der Dose zu formen. Die Distanz zwischen den fast zusammengeführten Kuppen ist nur so lang, wie es laut einer nicht repräsentativen Umfrage angeblich die Pimmel von Hummer-Fahrern sein sollen. 

Diese Radikalität ist jedoch nichts für meine Hair-Stylisten. „Ach was“, sagt sie, „fürs Abrasieren ist es doch noch viel zu früh“.

Na, also geht doch!

Habe am Ende doch einen Flakon Büchsenmatte erworben. Für den nächsten Karneval. Ich geh’ als Berlusconi.  

 

Ziviler Ungehorsam

Mal ehrlich, als Demokraten sind wir doch von der Freiheit verwöhnt. Orte zivilen Ungehorsams sind deshalb immer schwieriger zu finden. Manchmal aber gelingt es doch: im Flugzeug.

In der Economy Class  wird der Steinbrücksche Ruf nach mehr Beinfreiheit vom massigen Körper des Sitznachbarn verschluckt, der mit seinem als Oberschenkel verkleideten Unterarm den Luftraum der kompletten Sitzreihe verletzt. Freiheit haben hier nur die Preise des Bord-Bistros – und zwar nach oben. Duty Free? Pah. Bloß noch ein Euphemismus. Dazu kommen die permanenten  Anweisungen des uniformierten (!) Bordpersonals. Anschnallen. Sichtblende hoch. Einkaufen! Da ist der Drang des Menschen doch nur verständlich, sich sofort nach der Landung seine Freiheit zurückzuerobern:

Die Ansage, sitzen zu bleiben, bis das Gurtsymbol erloschen ist, hängt noch knarzend in der Luft, da setzt auch schon der Flucht-Reflex ein. Beckenschnallen klicken, alles steht – obwohl besagtes Symbol es doch verbietet. Das Nichtraucherzeichen direkt daneben leuchtet übrigens auch. Warte auf den Tag, an dem sich endlich der erste Sitzflüchtling eine Zigarette ansteckt. Wäre nur konsequent…

 

P.S. Der Text erscheint in ähnlicher Form morgen als Glosse in der WAZ

Küsst euch auf den Mund, verdammt!

Wer mit der Bahn pendelt, hat sein Schicksal einerseits in die Hände fremder Mächte gegeben, erhält dafür andererseits aber einen Sack voll Unterhaltung. Und das täglich. Manchmal ist das lustig, wenn sich etwa Frauen im Regionalexpress darüber aufregen, dass „der Özil jetzt bei Real gegen Dortmund mitspielt“. Der habe doch schließlich letztens noch für Deutschland gekickt…

Oft ist es herzzerreißend, wenn sich die Teilnehmer einer Fernbeziehung im Morgengrauen auf dem Bahnsteig tränenreich Lebewohl sagen. Wenn rote Augen und in schwarzen Bächen die Wangen herunter rinnender Kajal der Verlassenen einen geordneten Übergang in den Arbeitsalltag erschweren.

Da sind Wiedersehen eindeutig schöner:  Nach Liebe und Zuneigung hungernde Lebensabschnittsgefährten fallen sich unter wildem Küssen in die Arme. Dabei bleibt zwar auch kaum ein Make-Up trocken, doch in der Regel geht’s nach der ersten Kontaktaufnahme ja auch gleich nach Hause und nicht ins Büro….

Leider sind nicht alle Wiedervereinigungen so leidenschaftlich. Häufig genug regiert die kühle Nüchternheit. Wie neulich in Essen. Die Frau Mama kehrt wohl von einer Dienstreise zurück. Als sie aus dem ICE steigt, trägt sie Mantel, Kostüm und einen Aktenkoffer aus Leder, wie ihn Juristen gern mit einem gewissen stolz durch die Welt wuchten. Papa sieht aus wie der Hausmann – oder er ist Erdkundelehrer. Schlabber-Jeans, Sweatshirt und Halbglatze. Um von seinem erbärmlichen Zustand abzulenken, begleitet ihn das offenbar aus der Beziehung mit der Geschäftsreisenden hervorgegangene Kind. Ein kleiner blonder Junge. Mit Blumen! Groß ist die Freude bei Mama, als der Kleine ihr die Tulpen entgegenstreckt und strahlend eine Umarmung einfordert. Dabei zerstört Mama erst die Frisur des Mini-Justin-Biebers und nimmt auch wenig Rücksicht auf die Pflanzen. Aber sie mag den Jungen. Das wird deutlich. Der Erdkundelehrer hingegen, der die gesamte Zeit immer wieder vorsichtig versucht, durch zögerliches Vorbeugen seines Kopfes in Richtung der Bahnfahrerin auch eine Portion Zuneigung zu erhaschen, bekommt einen kurzen Kuss auf die Wange. Das war’s. Keine Sekunde verweilen die geschürzten Lippen des Barbara-Salesch-Doubles auf der Stelle unterhalb des Jochbeins. Bitter. Und das ist kein Einzelfall. Furchtbar.

Wann fängt so was an? Wann beginnen Frauen und Männer damit, ihren ehemals stets voller Sehnsucht erwarteten und heiß geliebten Beziehungspartner so distanziert zu behandeln? Genügen ein paar Jahre unter demselben kreditfinanzierten Dach? Sind es kleine blonde Jungen, die plötzlich im Zimmer stehen, Kacka in der Hose haben und jegliche Leidenschaft ersticken? Oder findet man die irgendwann sowieso nur noch nach drei Sekt und ner Runde Feiglinge im Sambazug nach Norderney?

Wann schließen partnerschaftlich oder sogar vertraglich aneinander gebundene Menschen stillschweigend das Abkommen, nur noch nebeneinander her zu leben? Ab welchem Zeitpunkt genügt es ihnen, dass dort wo sich früher zwei Zungen und vier Lippen ineinander verkeilten und miteinander wälzten wie Verliebte in einer Kissenlandschaft, heute nur noch ein einzelner Kuss die Wange oder Stirn, streift?

Pah. Diese entfernt an eine Beziehungsbekundung erinnernde Körperlichkeit ist höchstens dann in Ordnung, wenn der jeweils andere nach dem Genuss von Mettbrötchen mit Zwiebeln, diversen Bieren und Kippen aus dem Mund riecht wie eine Sondermülldeponie. Aber auch nur dann! Es sei denn, man lebt in Düsseldorf grüßt jeden Zeitgenossen so. Bussi links. Bussi rechts.

Ich will nicht, dass solche Szenen zunehmen. Deshalb plädiere ich für mehr Lippenberührungen. Auf dem Bahnsteig. Zur Begrüßung. Zum Abschied. Egal. Sogar in Düsseldorf. Küsst euch auf die Lippen, verdammt! Überall und immer.

Das ist schön.  

Ich hab übrigens gerade Herpes.

Das ist doof.

Radio Gaga

Wenn ich in diesen Tagen das Radio einschalte, fühle ich mich ein bisschen wie damals mit 14. Für den Spielplatz zu alt und für die Kneipe jung. Gefangen in der Metaebene. Irgendwie mitten drin, aber doch nicht dabei. In den 90er Jahren hielt ich das noch für einen Bereich im Baumarkt. Letztlich aber verbrachte man viel Zeit auf der Straße. Rumhängen war kacke. Heute lassen mich zwar viele Wirte zu sich ans Brett, doch stehe ich jetzt akustisch ohne Heimat da. Was also früher Rutsche und Theke waren, sind heute Einslive und WDR2. Aus dem frechen Jugendsender trotz aller hartnäckiger Versuche Jimmy Breuer lustig zu finden doch irgendwo rausgewachsen und für Chris Rea und Live-Kochsendungen einfach noch nicht so weit. Letzteres ist sowieso die Krone des Radiojournalismus: Darüber zu reden, wie man gerade kocht. Jochen Malmsheimer sagte es sinngemäß einmal so: Man kann nicht nur nicht schmecken und riechen, das gibt’s ja schon im Fernsehen, sondern auch noch nicht einmal sehen, was dort mal eben gaaaanz lecker gezaubert wird. Aber das ist eine andere Geschichte.

Natürlich gibt es bei den beiden Eckpfeilern des öffentlich-rechtlichen Radios in NRW Sendungen, die durchaus ansprechend sind. Die Bundesliga-Konferenz am Samstag auf WDR2 gehört ebenso dazu wie die unterhaltsamen Shows einiger Moderatoren-Duos bei Einslive. Sowohl zu früher Stunde an den Werktagen oder am Samstag. Nur an das denglische Wort „voten“ will ich mich nicht gewöhnen. Was ist an „abstimmen“ so uncool, wenn man das an die ach so spröde Politik erinnernde „wählen“ vermeiden möchte auszusprechen?  Sei’s drum.

Was aber die mittlerweile volljährigen Einslive-Verantwortlichen seit geraumer Zeit am Sonntagmorgen anbieten, ist gebührenfinanzierter Unfug. Selbst Hobby-Radiomachern beim Bürgerfunk würde das Mikro abgedreht werden, wenn sie derart seicht und planlos die Zeit verquatschten. Es wird gegiggelt und gekichert wie auf dem Schulhof. Bei der Comedy von Jimmy Breuer sind die flachen Witze wenigstens Absicht und Konzept. Aber er beleidigt keine Leute – zumindest nicht böse.

Am vergangenen Sonntag hat sich der Dienst habende Einlive-Moderator dann Franck Ribery vorgenommen. Ich bin absolut kein Fan des FC Bayern München, aber weiß wo die Gürtellinie sitzt. Der Typ sagte doch tatsächlich, dass er noch nie einen so „hässlichen Menschen“ wie den französischen Nationalspieler gesehen hätte und warf – unterstützt vom Gegluckse seiner Moderationspartnerin – noch die Frage auf, ob „er als Kind wohl in einen Häcksler gefallen“ sei.  Der Moderator ist nicht nur nicht lustig, sondern auch noch völlig ahnungslos. Ein Klick ins Netz und man liest den Grund für die Narben im Gesicht Riberys: Ein Autounfall als Kind.

Der Marc von der Sender-Hotline sagte mir, dass so was natürlich gar nicht ginge und ich nicht der einzige gewesen sei, dem diese Entgleisung aufgefallen ist. Eine Entschuldigung oder meinetwegen ein halbherziges und kurzes „Sorry“ blieb in der Folgezeit der Sendung jedoch aus. „Fehler versenden sich“ heißt es beim Radio schon mal. Ob der Angriff auf die Menschenwürde irgendwelche Konsequenzen nach sich zieht, weiß ich nicht. Meine schriftliche Bitte um eine Stellungnahme am Sonntag ist bis jetzt unbeantwortet geblieben.

Ich glaub’, ich höre jetzt öfter Funkhaus Europa. Da verstehe ich zwar nicht immer alles, ist aber manchmal vielleicht gar nicht so schlecht.

Getrennter Sportunterricht

Wäre Fettnäpfchen-Zielsprung eine olympische Disziplin, Peer Steinbrück könnte sich berechtigte Hoffnungen auf eine Goldmedaille machen. Es ist bewundernswert, wie es ihm  immer wieder gelingt, einen überraschenden Treffer zu landen, wenn der Rest der Republik längst denkt, da kann doch jetzt nichts mehr kommen…

Nach teuren Reden und teuren Weinen nun also der Sportunterricht. Wenn möglich und erwünscht, nach Religionen getrennt, sagt der Kandidat. Hab’ ich mich geärgert. Dieser Vorschlag kommt für mich etwa 15 bis 20 Jahre zu spät. In den späten 80er und 90er Jahren wäre das was gewesen. Damals zur Schulzeit habe ich mir oft separierten Sportunterricht gewünscht. Jetzt nicht nach religiöser Zugehörigkeit getrennt. Das ist Quatsch. Gott ist sicherlich überall, aber nicht in einer nach kaltem Schweiß und altem Käse stinkenden Turnhalle. Nein, aber was wäre uns doch allen eine Menge Ärger erspart geblieben, wenn die Unterteilung wie folgt geschehen wäre: Bock und kein Bock. Warum mussten die armen Schulkollegen, die sich bei klassischen Schulsport-Disziplinen wie Fußball, Volleyball und Hockey als weitgehend talentfrei erwiesen haben, nicht nur sich, sondern auch noch ihre Mitschüler quälen? Diejenigen, die nach einer Doppelstunde Mathe wie aufgezogen durch die Halle sprangen und im 4:3:3 mit flacher Spitze oder einer Rauten-Formation ihr Glück fanden. Für alle Lehranstalten mit Doppel- oder gar Dreifach-Turnhalle wäre es doch ein leichtes gewesen: Auf der einen Seite der Trennwand hätten sich diejenigen einfinden können, die lieber dem Tanz, der Rhythmischen Sportgymnastik oder dem Blinde-Kuh-Spiel frönen wollten. Hauptsache Spaß an der Bewegung. Für den Rest wäre dann auf der anderen Seite Platz gewesen. Zufriedene und selbstbewusste junge Menschen wären so herangewachsen. 

Doch nichts davon. Die Folge waren Tränen. Sie kullerten die roten Wangen von enttäuschten Siebtklässlern herab, wenn ihnen beim Fußball bei der Wahl der Mannschaften noch der Mattenwagen vorgezogen wurde. Klar, menschlich tragisch, aber wer das voll belegte Transportmittel geschickt vor dem eigenen Strafraum platzierte, hatte in der Abwehr einen verlässlichen Partner an seiner Seite. Auch beim Hockey war die Heulerei groß, immer dann wenn ein wenig begabtes Mitglied des Klassenverbandes lustlos den Schläger schwang und beim weiten Ausholen und anschließenden Verfehlen des Balles große Lücken in die gerade frisch geschlossenen Zahnreihen seiner Mitschüler schlug. Glück dabei hatte, wer eine feste Zahnklammer trug – dann hing das entwurzelte Essbesteck wenigstens noch am Bügel.

Dass sich Ausflüge ins Leichtathletikstadion mit Speerwurf und Kugelstoßen zu reinsten Himmelfahrtskommandos inklusive Notoperationen entwickeln konnten, muss ich wohl niemandem erzählen. „Tim, das ist eine schwere Kugel, kein Ball!“  – „Den Speer bitte erst loslassen, wenn Du ihn am Kopf vorbei geführt hast.“ Sätze, die Lehrer niemals glaubten, jemals aussprechen zu müssen.

Aber so ist es nun einmal. Sport ist Mord, so oder ähnlich soll es ja schon Winston Churchill gesagt haben. Nun ist Steinbrücks Fettnapf zwar immer noch kein Sportgerät – einige schmerzhafte Schlagzeilen kann er aber schon verursachen…